Gisela Findel-Tölke Kunst trifft Homöopathie
Einführungstext zur Ausstellung "Kunst trifft Homöopathie 4" 
von Thomas Nolden

Der SEESTERN den ich leuchtend und in der Tiefe des Meeres wähnte begegnet mir, als ich nach dem Schwimmen aus dem Meer hinauskletterrn möchte. Wie ich ist er an diese Steine geklammert, fest angesaugt an den gelben Untergrund. Er bildet auch keinen Stern, vielmehr eine unförmige stachelige Wurst, die sich gegen meinem Zugriff durch festeres Ansaugen an den Fels wehrt. Er ist grauorange und als er sich schließlich vom scharfkantigen Stein ablösen lässt, hat er 6 Arme, davon sind zwei kürzer als die anderen. Das kaum handtellergroße Tier verströmt eher Angst und Verstörung statt Größe und Erhabenheit, die ich von ihm erwarte.

 

Unmöglich ist es, für uns die Dinge zu sehen wie sie sind. Wir können nicht etwas anschauen, ohne zu deuten, ohne dass wir uns in ihm sehen oder das Angeschaute sich in uns verwandelt. Selbst die Beschäftigung vieler Künstler mit der Form oder der Farbe an sich, mit Grundprinzipien oder Wirkungszusammenhängen in abstrakter oder expliziter Form, stößt in der Begegnung mit dem Betrachter auf eine Welt, in der es befragt, aufgesaugt und interpretiert wird.

Dabei klärt oder verklärt sich das Kunstwerk, beantwortet oder entzieht es sich unseren Fragen, offenbart sich uns oder behält sein Geheimnis.

 

Einen blau leuchtenden Seestern (Bild: Leben im Innen und Außen) trägt die Figur in sich, hineincollagiert ist eine Masse von Engeln, ein Brot austeilender Jünger, und der heilige Franziskus, der die Gabe besitzt mit den Tieren zu reden.

Mit dem Licht, das durch das Auge in unseren Körper fällt, fällt auch das Bild in uns hinein, sooft wir die Lider öffnen und schließen 10- 15 mal pro Minute, mindestens 11.000 mal am Tag. Es ist klar, daß wir uns dagegen wehren müssen. Wir halten innere Bilder und Interpretationen bereit, wählen aus und filtern permanent, was wir verdauen können, wann wir umschalten oder weitersurfen müssen.

Es ist auch klar, dass uns dabei das eine wie das andere abhanden kommt: das innere Bild und die Fähigkeit in Freiheit zu schauen.

 

Dieser Seestern (Bild: Leben im Innen und Außen 2) hat seine Arme mit geraden Linien verlängert, selbst in einem gelben Kreis liegend, reichen diese Tentakeln über einen tiefblauen Kreis wieder in einen gelben Kreis hinein. An einer Stelle sogar darüber hinaus in ein violettes Meer voller blauer Zellen, die ihn wie Sterne umgeben ... Ein Bild das ein Schlüssel sein könnte, ein Puzzelstein, der wieder eine Verbindung schafft zwischen Filtern und Sehen.

 

Ich begegne Gisela, wie vermutlich der ein oder andere Anwesende hier auch, als ich leide, ich leide unter Taubheit in meinem Bein, ich leide an meiner Ungeduld damit. Ich bin begeistert von Feldenkreis und begeistert von Gisela, die mit ungeheurer Sorgfalt die Sprache als einen Weg in körperliche Imagination hinein anwendet. Aus einer Bewegung wird eine Reise, oder ein Raum, ein Farbklang, eine Ausdehnung eine Selbstwahrnehmung. Ich werde begleitet und in eine Leichtigkeit geführt, die ich jedes Mal als große Befreiung empfinde. Gisela hat diese Aufmerksamkeit, die es ermöglicht, sich ihr ganz anzuvertrauen ... die Voraussetzung ist, sich einer Heilung entgegenzubewegen.

Sie schafft es, dass das Wort nicht abgrenzend definiert oder schwammig verärgert, sondern leicht und präzise leitet, in eine Figur in der sich der Körper wie gewachsen anfühlt, wieder offen ist zur Bewegung zum Leben.

Die Rotorangen Ränder, sind vielleicht Erinnerungen an das Orange des Lichtes das noch durch die geschlossenen Lider auf die Netzhaut fällt, in einem blassgelben Kreis in der Bildmitte eröffnet sich jedoch schon ein Blick in die Weite, lasierende Farben ein bewegter transparenter sternförmiger Körper der sie durchfließen lässt, der Stern sieht jetzt beinah aus wie ein schwebendes Menschlein. Ein weißes Licht macht aus dem hellen Kreis eine Röhre zu einem noch helleren Licht.

Die Malerei weist mit ihren Mitteln einen Weg in einen vorgestellten empfundenen Raum.

Giselas Aufmerksamkeit für physische und psychische Prozesse, wenn sie in der Analyse von den Energien und Bildern bei der homöopathischen Verreibung spricht, eilt ihren Gemälden voraus wie eine Skizze; Ihre Ikonografie fügt erzählerische Elemente mit hochabstrakten oder ornamentalen Bildauffassungen zusammen.

Unabhängig und doch verwandt zu Bildern von Georgia O Keefe, die in Gemälden von Blüten im Abstarkten Expressionismus die Farbe als pure Energie in unakademischer Gewalt zur Visualisierung seelischer Zustände benutzte, oder von Frida Kahlo, die einen Bilck in ihren Körper zum Selbstportrait hinzufügen mußte, weil der Blick in den Spiegel den inneren Bruch nicht mehr zeigen konnte, greift Giselas Bildsprache Vokabeln dieser Künstlerinnen auf, bindet sie jedoch ein in eine Wesensdefinition von homöopatischen Wirkstoffen.

 

Ein heiter wirkendes Blatt (Bild: Wo bin ich), viel strahlendes Weiß. Durch die Raum bildenden Linien wird es zu Licht. Das Boot im Vordergrund -blauviolett- bildet einen starken Kontrast und setzt sich gegen ein Weiß ab, das durch eine zarte Begrenzungslinie zum Felsen wird. Das Boot bewegt sich, -darauf weist die blaue Fahne hin- bachaufwärts. Im zurückliegenden Teil des Bachlaufs liegt ein blassgrauvioletter Stein und verbindet die Szene mit einem Bild im Bild.

Das kleine eincollagierte Quadrat wiederholt die Farben des Bildes, allerdings nicht in derselben Leichtigkeit, sondern in gewichtigeren verbindlicheren schwereren Farbe. So zeigt uns das Bild die Farben in zwei Funktionsweisen: als weit schwingende, Raum bildende Linienerzählung im Großen, als ineinander hinein agierende Schwingung und Verdichtung im Kleinen Bild. Ein malerisches Prinzip gestaltet die Bildaussage, Malerei und verriebenes Mittel sind in einer Annäherung. Das Puzzelstück, das die Ebenen miteinander verbinden soll, beginnt sich zu formen.

„Verrückt“ dieses Gemälde hat als Ganzes die Dichte die vorher nur im kleinen Bild der großen offenen Landschaft gegenüberstand. Wieder wird die Bildsprache gebrochen diesmal durch eine geometrische Organisation der Farbe im unteren Teil, die der amorphen Bewegung einer Welle oder einer Aufbäumung im oberen Teil der Komposition gegenübersteht. Durch einen rotblauorangefarbenen Bogen blicken wir in die dahinter liegende Landschaft wie durch ein Loch im Zaun. Verrückt ist das Bild nicht deshalb weil eine geometrische Organisation eingerückt worden ist, sondern weil der Blick ins Bild vielmehr ein Blick aus dem Bild heraus auf uns ist. Der Durchblick auf die Landschaft fühlt sich an, wie der Blick eines seltsamen Wesens auf uns, einer Art Nasenbär. Oder ist es ein Wechsel im Material, eine unerwartete Transparenz Grund für dieses Gefühl, das uns zwingt, den Bildraum genauer wahrzunehmen. Angeschaut von einer Landschaft und nicht umgekehrt fühlt es sich an wie bloßgestellt und ausgeliefert.

 

Vielleicht sind jetzt wir unbemerkt auf die Ebene einer Symptombeschreibung geraten. Den Schritt vom Bloßgestellten zum Leidendenden suggeriert der Titel eines folgenden Bildes der Gruppe: Schmerzlinien 1. Die Bildelemente sind vereinzelt, unterschiedliche Farbräume und Farbaussagen schweben vor einem harten weißen Grund. Unten erinnern Linien an Wasser, ein blauer Felsvorsprung in der Luft, ohne Halt in einem beinah surrealistischen Essemble. Surrealistisch beschreibt hier das Verlorene, -thematisierten die Surrealisten doch vor allem das Absurde im Leben, Sterben und Lieben, in dem sie Sinnzusammenhänge auflösten und in Frage stellten. Surrealismus ist in diesem Bild aber keine intellektuelle Position, sondern eine Empfindungskategorie, ein Zustand.

 

Wir begegnen wie so häufig in den Arbeiten von Gisela Zuständen oder Situationen die, sobald wir die Ebene der illustrativen Wahrnehmung verlassen, in uns zu wirken beginnen. Als Vorlage für einen Traum, als Impuls für einen Gedanken, der lange schon bevor er sich im Satz oder Wort finden konnte, als Material, vielleicht in einer Struktur in uns angelegt war.

Giesela Findel-Tölke benutzt den optische Reiz als Substanz in einem Wirkungszusammenhang. Ihre Bilder sind vielleicht mit einem Mandala vergleichbar, in der die Meditierenden einen Weg zurücklegen müssen, sich hinein begeben in einen Ablauf, um zu sich selbst zu kommen. Die Führung in Giselas Bildern ist jedoch nicht ein einkreisendes meditatives Schauen, sondern mitunter auch eine heftige Konfrontation, je nach Wesenseigenschaft des betreffenden Mittels.

So das Gemälde Schmerzlinien 2. Es zeigt eine Verletzung, eine Fläche die sich wie eine Glasscherbe in einen Rotton hinein schneidet, der wie entzündete Haut leuchtet. Wäre nicht die tückische Heiterkeit und Leichtigkeit einer kandinskischen Malweise in diesem Bild, die auf groteske Weise die schmerzfreie und die schmerzerfüllte Realität verbindet. Wir würden uns sofort abwenden. So zeigt die Scherbe jedoch ein weiters Mal in der Bilderreihe zu diesem Mittel den Bruch, das absurde und unwirkliche Nebeneinander der Welten.

 

Ganz anders als bei den eben beschriebenen Bildern zur Verreibung einer SYPHILIS NOSODE ist die Behandlung der rot und rosa Töne in zwei ihrer Arbeiten zum Mittel GERMANIUM. Diese sind geprägt von einer Bildkomposition, in der sehr deutliche und klare Flächenbeziehungen gezeigt werden. Die Strenge der Komposition fordert zum genauen Hinsehen auf. In Pastelltönen sind nicht immer die ganz klar abgegrenzte Flächen gegen sehr klar umrissene Formen unterschieden. Das malerische Mittel ist ein sensibel ausgearbeiteter Qualitätskontrast. Weitausgedehnte Rosatöne verankern einen ungebrochenen Rotton, dem ein Formenensemble in komplementärem Grün gegenübergestellt wird. Dabei spielen Negativ- und Positiv-Form eine große Rolle. In ihnen verbindet sich das Bild in einer - auf den ersten Blick - formalen Stimmigkeit. Die geometrischen Formen, die eine stehend, die andere kippend, sind sicher gesetzt und scheinen doch unsicher. Die Pastelltöne sind von weiß unterbrochen und aufgerissen. Sie haben daher nicht nur das weiche Vermittelnde, was wir vom Pastell erwarten, sondern sie wirken auch hart und etwas kalt. Die rote, durch den Titel als Explosion identifizierte Farbe, liegt in einer schwerfassbaren Ferne, ein graugrüner Schatten balanciert sie innerhalb der Komposition aus. Eine blaue Kugel in der Beziehung zu einem unsicher gezogenen Kreis und einer zu den Flächen gegenläufigen blauen Diagonalen bilden eine Art Dreiklang, der die Komposition stabilisiert. Sie wirken dabei wie ein suprematistisches Zitat und lassen uns in die Aura einer Bildwelt hinein assoziieren, die zwischen 1916 und 1930 als erste konsequent versucht hat in rein abstrakten Formen und Bewegungen Verhältnisse als menschliche Erkenntnisprinzipien zu zeigen - parallel zu den Futuristen und Kubisten.

 

So zeigt das Bild in einer sehr subtiler Form die Unsicherheit, die hinter formaler Behauptung steht und das Problem der Eingrenzung und Rechthaberei. Nicht in dem es als Gemälde unsicher auftritt, sondern indem es den formalen Festlegungsprozess selbst thematisiert, ihn benutzt und durch ein Zögern oder Stocken hinterfragt.

In diesen zwei Bildern arbeitet Gisela eher geometrisch, in der dritten zum Mittel gehörenden Arbeit wieder enger an Metaphern geknüpft: Der Löwe der in seinem Schatten ein Mensch ist, ist seinerseits umzingelt von dunklen Löwen, die in der Dunkelheit miteinander kämpfen. Ein mächtiges und aggressives Tier zeigt sich in seinem Schatten als verwundbarer Mensch, eine Dissonance von Behauptung und Sein, deren Bedeutung sich uns aber erst beim zweiten und dritten Hinschauen erschliesst.

 

„Betrachten der Bilder auf eigene Gefahr“

Über diese Malerei zu schreiben ist sensationell und präzise. Eine Warnung, die genau beschreibt was ein Bild tut in dem es Sehen und Erkennen miteinander verbindet. Eine Warnung vor dem Werkzeug das wir brauchen, um unseren Wunsch nach Selbsttäuschung auszutricksen.

Denn verletzbar sind wir und feige.

Mut braucht der Seemann, Mut und Gisela der er vertrauen kann, weil sie zeigt, daß es sich lohnt aufzubrechen vom Festland zur Insel, von der Insel zum offenen Meer. Um unter einem Meer von Sternen einen Seestern blau und leicht in sich leuchten zu sehen.